Der Publikumsrat in Österreich – ein Interview mit Dr. Hans Högl

Interview mit Dr. Hans Högl, Wien 30.01.2014

Sehr  geehrter  Herr  Dr.  Högl,  wir  freuen  uns  über  Ihre  Bereitschaft  zu  diesem Gespräch  über  den  Österreichischen  Publikumsrat.  Könnten  Sie  sich  bitte  kurz vorstellen!

Ich bedanke mich für die freundliche Einladung. Ich bin Medien- und Bildungssoziologe, lehrte  als  Prof.  an  einer  österr.  Hochschule  und  bin  im  Vorstand  der  Vereinigung  für Medienkultur.  Dies ist ein offener, unabhängiger Kreis, der sich für inhaltliche und stilistische Qualität in elektronischen und Printmedien einsetzt.

Herr Dr. Högl, Sie haben sich darum bemüht, in den Österreichischen Publikumsrat aufgenommen zu werden. Warum? Was war ihre Motivation?

Achtung: In Österreich gibt es zwei ORF-Gremien: den Stiftungs- und den Publikumsrat. Der ORF-Stiftungsrat ist die eigentliche öffentliche Kontrollinstanz und entscheidet über die wirtschaftlichen und großen Fragen und die Bestellung von Spitzenpositionen.

Der  ORF-Publikumsrat  soll  die  Interessen  der  Seher  und  Hörer/innen  des  ORF  in Programm-Fragen  vertreten. Darum kandidierte ich bei der Wahl zum Publikumsrat.

Wie funktioniert das, dass man im Publikumsrat aktiv werden kann? Gibt es eine Wahl?

Das Hauptanliegen des  Publikumsrates ist hervorragend, aber die Umsetzung leidet an „gefährlicher Grippe“.

Von  den  36  Publikumsräten werden nur sechs (6) österreichweit von den ORF-Gebührenzahlern gewählt. Die übrigen 30 kommen aus Interessensverbänden.  Ich zähle einige auf: Gewerkschaft, Wirtschaftskammer, Konsumentenschutz, Universität, Schulen, Tourismuswirtschaft, Autofahrerclubs, Familienverbände, Kirchen. Diese sollen die Vielfalt der Bereiche Österreichs repräsentieren.

Das  heißt,  der  österreichische  Publikumsrat  ist  eine  Mischung  aus  dem,  was  in Deutschland  Rundfunkrat  (Körperschaftsvertretung)  ist  und  dem  was  wir  uns  als Publikumsrat wünschen, nämlich eine Vertretung direkt aus dem Publikum. Woraus besteht denn dann der Stiftungsrat?

Im  ORF-  Publikumsrat  sind  Körperschaften  und  Interessensgruppen  vertreten  und  die öffentlich gewählten Publikumsräte.

Nun  zum  wichtigen  Stiftungsrat.  Nebenbei:  Der  ORF  ist  eine  österreichische  „Stiftung“! Daher der Name. Hier sind – mit Ausnahme eines Kirchenvertreters – die Körperschaften nicht  explizit  Mitglieder.  Es  dominieren  explizite  Parteien-Vertreter.  Und deren Gruppen nennen sich „Freundeskreise“. Die Anzahl der Parteienvertreter ist proportional mit  der  Aufteilung  der  Sitze  im  Parlament.  Ferner  sind  im  Stiftungsrat  einige  ORF-Betriebsräte und ein paar der Publikumsräte.

Und wie kandidiert man als echte Publikumsvertretung für den Publikumsrat? Wer hat zum Beispiel Sie nominiert?

Die Wahl  zum  Publikumsrat  wurde  im bundesstaatlichen Amtsblatt  der „Wiener  Zeitung“ vom Bundeskanzleramt (Medienstaatssekretariat) ausgeschrieben. Es konnten sich bisher 6 Personen mit ihren Vereinen (NGOs) als Kandidaten melden.

Ich kandidierte  als  Präsident  für  die  unabhängige  Vereinigung  für  Medienkultur  und  ich wurde Kandidat für den Bereich Bildung, andere für Konsumentenschutz, wieder andere für  den  Bereich  Eltern.  Es  gibt  insgesamt  6  Bereiche.  Keiner  der  unabhängigen Kandidaten  (auch  nicht  jener  des  Umweltdachverbandes)  erreichte  genügend  Stimmen, um  endgültig  als  Publikumsrat  gewählt  zu  werden.  Das  hängt  direkt  mit  dem Wahlverfahren zusammen.

Wie geht die Wahl zum Publikumsrat vor sich?

Die bisherige Wahlmethode war so:  Wählen konnte jeweils eine Person pro Haushalt, der Rundfunk-Gebühren zahlt. Gewählt wurde per Fax. Dies wurde sehr kritisiert. Nun,  die  politischen  Parteien  stellten  ebenfalls  6  Kandidaten  auf.  Dies  waren  Vertreter parteinaher  Organisationen,  deren  finanzielle  Potenz  und  die  vorhandenen  Faxgeräte  in den Parteisekretariaten nicht zu unterschätzen sind.

So  kam  es,  dass  kein  unabhängiger  Kandidat  gewählt  wurde.  Zum  Zug  kamen ausschließlich  Parteienvertreter.  Gegen  die  Faxwahl  wurde  im  Nachhinein  wegen Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes mit Erfolg beim Verwaltungsgerichtshof Einspruch erhoben.  Und so darf eine  Fax-Wahl 2014 nicht mehr stattfinden.
Wir  –  www.medienkultur.at  –  schlugen    schon  vor  Jahren  eine  geheime  österreichweite Briefwahl vor (ähnlich der Briefwahl als Ersatzform bei der Wahl der Parlamentarier).

Welche Handlungsmöglichkeiten hat der Publikumsrat in Österreich?
Der Publikumsrat  kann  Programm-Wünsche äußern und hat nur eine ORF-beratende Funktion.  Er befasst sich im Kern mit Programm-Vorschlägen und Beschwerden  und hat ein  Einspruchsrecht,  wenn  die  Rundfunkgebühren  festgelegt  werden.  Die  rechtlichen Kompetenzen des Publikumsrates sind sehr gering.

Es  gibt  auch  diverse  vorbereitende,  nicht  öffentliche  Ausschüsse.  Z.B.  der  Präsidial-Ausschuss  bereitet  die  Tagesordnung  vor.  Der  Beschwerde-Ausschuss  tritt  etwa zweimonatlich  vor  der  Plenarsitzung  zusammen,  aber  der  Termin  des  Beschwerde-Ausschusses ist nicht öffentlich bekannt. Eine Bringschuld des ORF! Die  Folgen  sind  meist  monatelange  Verzögerung  der  wenigen  von  außen  kommenden Anliegen/Beschwerden.  Dass  innerhalb  von  zwei  Monaten  drei  Beschwerden  eines  8-Millionen-Volkes eingehen – das ist eher die Regel als die Ausnahme.
Der  Publikumsrat  trifft  sich  etwa  fünf  Mal  im  Jahr  mit  der  ORF-Leitung  (!)  im  ORF-Hauptgebäude in Wien (übrigens in der Schweiz ist es ein neutraler Ort: in einem Hotel!).

Halten Sie einen neutralen Ort für sinnvoller? Warum? Und wissen Sie mehr über das Funktionieren des Rates in der Schweiz?

Die  Antwort  muss  ein  wenig  ausholen:  Die  Betreuung  der  Webseite  des  ORF-Publikumsrates  und  die  wenigen  Mitteilungen,  die  man  fast  detektivisch  suchen  muss, betreut ein winziges ORF- Team. Es sind zwei oder nur eine einzige Angestellte des ORF. Der  ORF  organisiert  also  weitgehend  die  Abläufe  des  Publikumsrates.  Zur  reellen
Effizienz  des  Publikumsrates  trägt  er  wenig  bei.  Was  da  an  Ergebnis  in  Jahren „herauskommt“, ist beschämend.

Und  die  öffentlichen  Erwartungen  versus  Publikumsrat  sind  minimal.  Auch  die  bei  den Plenarsitzungen  anwesenden  Journalisten  üben  sehr  selten  wirklich  fundamentale  Kritik an  den  allzu  zivilisierten Abläufen  –  in Anwesenheit  des  Herrn  Generaldirektors  und  der mächtigen Abteilungsvorstände und der Fernsehdirektorin.
Der ORF ist der gastgebende Hausherr der Sitzungen. Der ORT: Ein repräsentativer Sitz auf dem „Küniglberg“ in einer sehr guten Wiener Wohngegend. Zweifellos ist der ORF ein gewichtiges Machtzentrum Österreichs.

Und manchmal bekommen Publikumsräte Gelegenheit, z.B. medizinische Sendungen zu gestalten  oder  genießen Stiftungsräte  den  einen  oder  anderen  Vorteil.  Es  müsste  eine klare Trennung der zuständigen Rundfunk-Kontrolleure und der Kontrollierten geben. Dies ist nicht immer der Fall.

Darum  finde  ich  die  Schweizer  Variante,  die  Treffen  an  einem  neutralen  Ort anzuberaumen, wesentlich besser. Dabei muss auch nicht je die Management-Spitze des Rundfunks  anwesend  sein.  Jedenfalls  sind  die  Vertreter  des  öffentlich-rechtlichen Rundfunks die Kontrollierten und nicht die Kontrolleure.

Sind Sie mit den Ergebnissen des Publikumsrats in Osterreich denn zufrieden?

Nein,  kaum:  Die  Struktur  und  Umsetzung  hat  große  Schwachpunkte.  Der  österr. Publikumsrat ist in der Tat  zahnlos und wenig effektiv. Es dauert viele Monate bis gute Vorschläge von der ORF-Leitung aufgegriffen werden. Wenn überhaupt. Das Konstrukt als Ganzes wäre nach niederländischem oder Schweizer Muster zu ändern.

Wo sehen Sie Schwächen oder Verbesserungspotenzial?

Der ORF hat eine aktive Abteilung für Public Value und  einen Kundenservice mit vielen Eingaben und Beschwerden. Davon ist aber jetzt nicht die Rede, sondern vom Gremium des ORF-Publikumsrates.

Die kostspielige Wahl zum Publikumsrat ist schein-demokratisch. Nur 6 Publikumsräte von 36  werden  gewählt.  Die  30  vom  Bundeskanzler  bestimmten  Vertreter  der Interessensgruppen sind honorige Personen, die aber meist beruflich so ausgelastet sind, dass  sie  wenig  Zeit  zum  Fernsehen  usw.  haben,  und  sie  verfolgen  nicht  selten  eher Parteieninteressen als allgemeine  Publikumsanliegen.

Es  sollten  aber  solche  Personen  im  Publikumsrat  sein,  die  sich  viel  mit  Medien auseinandersetzen,  gemeint  ist  ein  breit  gestreuter  Personenkreis  aus  dem  Volk.  Die Funktionsdauer sollte wohl auch nicht länger als drei Perioden sein.

Kandidaten  für  den  Publikumsrat  müssten  sich  im  Fernsehen  wirklich  ausreichend präsentieren und ihre Medienkompetenz darstellen. Davon kann im ORF nicht die Rede sein. Ein Halbsekundenspot dafür reicht wirklich nicht.
Der ORF ist sehr unwillig, ja träge, die Termine für öffentliche Plenarsitzungen mitzuteilen.

Darum ist die Anzahl von Publikumswünschen an den Publikumsrat minimal. Ein weiterer Nachteil: Die Sitzungen sind nur in Wien,  nicht regional gestreut.

Die  Plenarsitzungen  dauern  3-4  Stunden.  Drei  Viertel  dieser  Zeit  nützt  der  ORF  für Selbstpräsentation.

Haben Sie konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Arbeitsmöglichkeiten und zur Demokratisierung?

Die  Leser  und  Freunde  aus  Deutschland  mögen  wissen:  Unsere  doch  sehr  kritische Darlegung geschah besten Wissens und Gewissens. Wir als Vereinigung für Medienkultur vgl. www.medienkultur.at/Projekte haben ein 8-seitiges konstruktives Konzept zur höheren Effizienz  des  Publikumsrates  vorgelegt  –  sowohl  im  Bundeskanzleramt  (beim
Medienstaatssekretär) als auch bei ORF-Verantwortlichen. Und zwar insgesamt vier Mal in den letzten Jahren mündlich und schriftlich. Dieses Konzept mit Details können wir – bei Interesse – gerne zusenden.

Ja bitte, wir schauen es uns gerne an und prüfen, was davon für eine strukturelle Veränderung  in  der  deutschen  Rundfunklandschaft  interessant  sein  könnte.

Vielleicht  haben  Sie  ja  die  von  uns  angestoßene  Debatte  in  Deutschland  verfolgt, über  die  Möglichkeit  einen  Publikumsrat  für  die  öffentlich-rechtlichen  Rundfunkanstalten  einzurichten.  Was  halten  Sie  angesichts  Ihrer  Erfahrungen  in  Österreich davon?

Gegenstand der Diskussion sollten Sinn und Zweck der Rundfunkanstalten sein. Gremien von Publikumsräten müssten in den verschiedenen deutschen Bundesländern sein und in den  Bundesländern  an  verschiedenen  Orten  tagen.  Themen  der  Erörterung  sollten weniger Einzelsendungen, sondern  Sendeleisten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk sein.

In der Schweiz gibt es für Publikumsanliegen (Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und  Fernsehen  =  UBI)  ein  mehrstufiges  Verfahren.  Es  müssen  Vorschläge  eingereicht werden, diese werden gesichtet,  und die Sprecher von Publikumswünschen müssen auch in  einer  nochmaligen Anhörung  und  Diskussion  stehen.  Damit  scheiden  Leute  aus,  die irgendetwas unüberlegt kritisieren.

Es  könnten  und  sollten  auch  Anliegen  über  social  media  verbreitet  und  darüber abgestimmt werden.

Ein  andere  Variante:  Den  Publikumswünschen  würde  halbjährlich  dadurch  Rechnung getragen,  indem  sich  geeignete  Personen  des  Rundfunks  –  direkt  im  Fernsehen Publikumsfragen stellen.

Was  würden  Sie  uns  darüber  hinaus  als  Ratschlag  mit  auf  den  Gestaltungsweg geben?

Ich  gratuliere  zu  Ihren  großen  Bemühungen.  Sicherlich:  Das  Publikum  weiss,  wie  „Brot schmeckt“,  aber  die  Bäckereien  für  Sendungen  sind  weiterhin  die  Rundfunk-Anstalten. Darum  kann  nicht  alles  vom  Publikum  Eins  zu  Eins  übernommen  werden.  Aber  deren Stimme sollte nicht nach Quoten gemessen, sondern auch deren Argumente gehört und erwogen werden.

Nebenbei:  Ich  bin  mit  Herr  Ludolf  Baucke  in  Kontakt  (www.dasganzewerk.de).  die Reformideen  zum  NDR  einbrachten.  Eine  andere  Initiative  betraf  den  Westdeutschen Rundfunk (www.die-radioretter.de).

Das nehmen wir uns gerne zu Herzen.
Vielen Dank für das interessante Gespräch und Ihre hilfreichen Anregungen!

03. Februar 2014 von admin
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