#ARD: Sag’s mir ins Gesicht – Journalisten suchen Dialog

Mit dem Experiment „Sag’s mir ins Gesicht“ stellen sich ARD-Journalist*innen derzeit dem Online-Publikum. Sie versuchen so mit der wachsenden Zahl der Hatespeach im Netz in Kontakt zu kommen, die die Journalisten immer heftiger und unverblümter attackieren. Sie wollen herausfinden, ob die Kommentatoren genauso hetzen, wenn sie den Journalist*innen im Skype-Interview auf Facebook gegenüber sitzen.

ARD-Aktuell Chefredakteur Kai Gniffke machte den Anfang, gefolgt von Anja Reschke. Bislang blieben die zugeschalteten Zuschauer mit ihren Äußerungen relativ sachlich, einige deuteten auf Versäumnisse der ARD Redaktionen hin. Bei anderen Zuschauern wird deutlich, dass sie ein verqueres Verhältnis zu Demokratie und Meinungspluralismus haben und ihnen nicht klar ist, das Medien auf einem Konstruktionsprozess beruhen und nicht die eine einzige Wahrheit, die es ohnehin nicht gibt, darstellen.

Inhaltlich liefern die Gespräche dennoch zahlreiche Ansatzpunkte für die Verbesserung der Berichterstattung, wie die Kritik eines Zuschauers, dass die Nationalsozialisten auf dem Maidan nicht als solche benannt wurden, sondern als Ultranationalisten, wie Gniffke sagte. Auch wenn der Unterschied fein ist, so ist er doch deutlich, denn die genannten paramilitärischen Gruppen schmücken sich mit Nazi-Symbolik- und mit der entsprechenden Ideologie. Hier sollte der öffentlich-rechtliche Journalismus sich aktiv mit den Nachrichtenfaktoren auseinanderzusetzen – und manches Mal deutlich mehr Distanz zur Tages- und Weltpolitik zu suchen, um ihre Funktion als Kontrollorgan der Politik wieder besser ausfüllen zu können. Womöglich ist das aber eine naive Vorstellung, die systemische Aspekte ausblendet, denn Journalismus lebt von Aktualität. Und wenn gerade nichts los ist, suchen sich Journalisten eben ein Thema.

Das Einstehen für Menschlichkeit ist ein Wert, der gerade in der Flüchtlingsberichterstattung wichtig ist. Dieser Bereich sorgt für sehr viele Hasskommentare seitens der Nutzer.  Manches Mal gehen den Journalist*innen die Argumente aus, was sicher dem Live-Charakter geschuldet ist, aber an Stellen auch schade. Beispiel: Kriminalität von Geflüchteten. Hier wäre der Hinweis gut gewesen, dass Migranten bei Delikten straffällig werden, die Deutschstämmige gar nicht begehen können, z.B. wenn sie gegen asylrechtliche Bestimmungen verstoßen oder wenn in beengten Unterkünften Schlägereien eskalieren.

Heute abend um 19 Uhr geht es weiter mit Isabel Schayani (WDR) – sehr mutig, da Studien belegen, dass (weibliche) Journalist*innen mit Migrationsgeschichte noch viel stärker von Hasskommentaren im Netz betroffen sind als andere.

Das Format an sich ist ein guter Anfang für mehr Publikumsdialog. Er sollte aber nicht soweit führen, dass die Sender bei Grundwerten Zugeständnisse an die Hasser machen.

 

30. Mai 2017 von Christine Horz
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